Etablierung als Schriftsteller |
1969-1989 |
Parallel zu seinem Lehrerberuf treibt Walter Kempowski in dieser Zeit auch seine schriftstellerischen Vorhaben voran. Als erstes literarisches Projekt wird 1969 der Haftbericht „Im Block“ veröffentlicht. Mit der Schilderung seiner Bautzener Erfahrungen ruft der Autor zunächst allerdings eher verhaltene Reaktionen hervor: Von Seiten des literarischen Feuilletons wird der Roman zwar überwiegend gelobt, beim Leser lassen sich damit allerdings keine hohen Verkaufszahlen erreichen. Der mangelnde Erfolg des Buchs ist sicherlich auch auf den vorherrschenden Zeitgeist zurückzuführen: Kempowskis Hinweis auf die Untaten des SED-Regimes fällt mit der Studentenbewegung und der heraufziehenden Entspannungspolitik zusammen. Nicht wenige Westdeutsche, vor allem nicht wenige Schriftsteller und Intellektuelle, bringen der DDR damals durchaus Sympathien entgegen. Angesichts dieser Tatsache ist es kaum verwunderlich, dass Kempowski sich mit seinem Erstling den Ruf eines „kalten Kriegers“ und Reaktionärs einhandelt, der lange bestehen bleibt.
Ungeachtet dieses Misserfolgs geht Walter Kempowski bald auch die zügige Realisierung seines zweiten Großvorhabens, der Rekonstruktion der eigenen Familiengeschichte. Anfang der siebziger Jahre ist seine Materialsammlung zu diesem Vorhaben auf 45 Bände mit weit über 2000 Seiten angewachsen. Aus diesem Fundus entsteht der Roman „Tadellöser und Wolff“, der das Schicksal der Rostocker Reederfamilie Kempowski während der Kriegsjahre verfolgt. Das Buch beschert seinem Verfasser 1971 den schriftstellerischen Durchbruch. Darüber hinaus bildet es den Auftakt zur „Deutschen Chronik“, die in fünf weiteren Romanen die Geschichte der Kempowskis von der Kaiserzeit bis in die fünfziger Jahre nachzeichnet. Bestandteil der „Chronik“ sind darüber hinaus auch die drei Befragungsbände, in denen Kempowski seine Person ausblendet und stattdessen die Erinnerungen zusammenstellt, die andere Zeitgenossen an ihre Schulzeit, das Auftreten Adolf Hitlers und den Holocaust haben. Mit diesem „demoskopischen Element“ wird eine Brücke zu Kempowskis späteren Arbeiten geschlagen.
Mitverantwortlich für den Erfolg von „Tadellöser und Wolff“ ist sicher auch die gleichnamige Verfilmung des Romans, die Eberhard Fechner 1972 für das ZDF produziert. Für die weitere Kempowski-Rezeption hat diese Adaption allerdings eine äußerst zwiespältige Wirkung: Völlig unbestritten ist, dass Fechners Film Fernsehunterhaltung auf höchstem Niveau bietet. Die Kritik des deutschen Bürgertums, die den Roman kennzeichnet, kann auf dem Bildschirm allerdings kaum zum Ausdruck gebracht werden. Die Eingängigkeit des Filmes hat zur Folge, dass mancher Kritiker sich nicht mehr die Mühe macht, Kempowski im Original zu lesen. Die Gleichsetzung von Roman und Verfilmung ist mitverantwortlich für die Wende in der Kempowski-Rezeption, die in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre spürbar wird: Nach anfänglichem Lob setzen sich allmählich Interpretationsansätze durch, die in „Tadellöser und Wolff“ lediglich rührselige Erinnerungsliteratur erkennen wollen. Kritiker überlesen das kritische Potential des Romans, ihnen fehlt es bei Walter Kempowski an der offenen politischen Stellungnahme. Mit seinen Bemerkungen zur Deutschlandpolitik oder dem energischen Plädoyer für den Erhalt der so genannten „Zwergschulen“ zeigt Kempowski auch in den folgenden Jahren wenig Neigung zur Anpassung an den Zeitgeist. Kempowskis Unangepasstheit bringt ihm schnell oberflächliche Etikettierungen wie die des „schreibenden Dorfschullehrers“ oder „verschrobenen Dokumentensammlers“ ein. Kempowski gilt fortan als schwierig. Im bundesrepublikanischen Literaturbetrieb bleibt er Außenseiter. Ablehnung und Kritik treffen den Schriftsteller und lassen ihn zunehmend empfindlicher werden. Seine literarische Produktion bleibt davon unbeeindruckt: In den folgenden Jahrzehnten fügt Kempowski seinem Werk weitere Komponenten hinzu: Es entstehen Schulfibeln und Kinderbücher, Hörspiele, Tagebücher und weitere Romane. Darüber hinaus veranstaltet er Literaturseminare, fördert den schriftstellerischen Nachwuchs und lehrt an verschiedenen Universitäten im In- und Ausland.