Eine kurze Nachkriegsjugend

1945-1948

Für den Lebenswandel des jungen Kempowski bedeutet das Kriegsende zunächst keinen größeren Einschnitt, das Schwänzen der letzten Kriegsjahre wird nahtlos fortgeführt. Als Folge davon wird er von der Schule verwiesen und beginnt eine Kaufmannslehre bei einer Rostocker Druckerei. Zur weiteren Desorientierung Kempowskis trägt sicherlich auch die Nachricht vom Tod des Vaters bei, der kurz vor Kriegsende auf der Frischen Nehrung gefallen war. Die Suche nach Leitfiguren und Identifikationsmöglichkeiten schlägt sich bei Walter Kempowski bald auch in einem wachsenden politischen Interesse nieder. Die neuen Machthaber können ihn dabei allerdings nicht begeistern: Das totalitäre Auftreten der Kommunisten und die von ihnen vorangetriebene Ideologisierung des Alltags stoßen Kempowski ab. Eine größere Anziehungskraft übt auf den Reederssohn eher das bürgerliche Lager aus: Im Juni 1946 tritt Walter Kempowski gemeinsam mit seinem Bruder in die Liberal-Demokratischen Partei (LDP), das sowjetzonale Pendant zur wesdeutschen FDP, ein. Die politischen Zustände in Ostdeutschland werden allerdings zunehmend schwieriger, die Verhältnisse steuern klar auf die Errichtung einer stalinistischen Diktatur zu. Auch für Walter Kempowski wird die Lage gefährlich: Nach einer Warnung vor seiner bevorstehenden Verhaftung flieht er im November 1947 in den Westen.
Zunächst zieht es Kempowski nach Hamburg, wo sich für ihn anfangs die Möglichkeit andeutet, seine Ausbildung fortzusetzen. Als sich diese Perspektive zerschlägt, reist er weiter nach Wiesbaden und findet Arbeit in einem PX-Store der US-Army. Den dreimonatigen Aufenthalt dort wird Kempowski später in angenehmer Erinnerung behalten: Als Army- Angestellter genießt Kempowski bescheidene Privilegien, die freie Zeit nutzt er vor allem, um das Kulturleben seiner Arbeitgeber kennen zu lernen. Darüber hinaus war seine Westflucht aber auch ein Akt des Widerstandes: Walter Kempowski ist in den Westen gekommen, um über die Zustände in Ostdeutschland zu berichten, insbesondere über das Ausmaß der sowjetischen Demontagen, die weit über das vertraglichen vereinbarte Ausmaß hinausgehen und die seine besondere Entrüstung hervorgerufen haben. Als Beweismaterial hat Kempowski Frachtpapiere im Gepäck, die sein Bruder Robert im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit beiseite geschafft hatte.