Kindheit in Rostock

1929-1945

 

Walter Kempowski wird am 29. April 1929 als Sohn des Reeders und Schiffsmaklers Karl Georg Kempowski und seiner Frau Margarethe, geb. Collasius, in Rostock geboren. Er wächst in einem wohl situierten, bildungsbürgerlich geprägten Elternhaus auf. In politischer Hinsicht zeichnet sich die Familie Kempowski durch eine konservativ-christliche Grundhaltung aus. Den ab 1933 regierenden Machthabern steht man folglich distanziert gegenüber. Aus dem Bücherschrank der Eltern erhält Kempowski schon in der frühen Kindheit Anregungen für seine schriftstellerische Karriere. Auch seine zweite berufliche Tätigkeit wird in dieser Zeit vorgeprägt: In der Schule kommt Kempowski mit den Ideen der Reformpädagogik in Berührung, nach deren Ansätzen er als Lehrer später selbst unterrichten wird. Der Ausbruch des 2. Weltkrieges bereitet Kempowskis Jugend ein jähes Ende. Der Vater meldet sich freiwillig an die Front, auch sein Bruder Robert muss das Elternhaus für längere Zeit verlassen. Das Jahr 1942 markiert schließlich die erste gravierende Zäsur im Leben Walter Kempowskis: Als zweite deutsche Großstadt wird Rostock zum Ziel britischer Flächenbombardements. Bei Kempowski führen das Chaos und die Schrecken des Kriegsalltags zu einer zunehmenden Desorientierung und einer Entwurzelung aus dem bisher wohlgeordneten bürgerlichen Leben. Da die elterliche Kontrolle in dieser Zeit geschwächt ist, kann der Junge problemlos die Flucht ins Nichtstun antreten: Statt zur Schule zu gehen oder sich in den stupiden Dienst in der Hitlerjugend einzureihen, unternimmt Kempowski lieber ausgedehnte Ausflüge in das Rostocker Umland oder sieht sich mit Freunden Kinofilme an. Durch seinen Bruder wird Walter Kempowski zudem Teil der „Swing-Jugend“. Die dort versammelten Jugendlichen orientieren sich an angloamerikanischen Vorbildern. Man raucht, hört Jazz-Platten und trägt die Haare lang. Wer in Nazideutschland allerdings öffentlich von der Norm abweicht und seine alternativen Lebensvorstellungen zur Schau stellt, schwebt in höchster Gefahr: Walter Kempowski wird in eine Strafeinheit der HJ versetzt, wo er verschärftem Drill unterliegt. Einer Inhaftierung im berüchtigten Jugend-KZ Moringen entgeht er nur knapp. Im Januar 1945 zerbrechen auch in Rostock die letzten Reste der bürgerlichen Ordnung: Die Schulen schließen und Kempowski wird in eine Luftwaffenkuriereinheit einberufen. Im Auftrag der Rostocker Heinkel-Werke reist der Sechzehnjährige durch das kollabierende „Dritte Reich“, um Material für das Flugzeugunternehmen zu beschaffen. Einer dieser Aufträge führt Kempowski noch Ende April 1945 nach Berlin. Dass es dem Jungen gelingt, aus der bereits heftig umkämpften Reichshauptstadt zu fliehen und sich unbeschadet nach Mecklenburg durchzuschlagen, grenzt an ein Wunder. Am 1. Mai 1945 besetzt die Rote Armee Rostock. Auch für die Familie Kempowski beginnt damit die Nachkriegszeit.